Zwingli hatte es mit ihr. Ernst Jandl auch. Für den österreichischen Dichter war es das schönste deutsche Wort – Wurst. Auch Zwingli ging es nicht ums Essen. Vornehm hatte er 1522 beim «Zürcher Wurstessen» auf sein Rädchen der scharfen Rauchwurst verzichtet. Zwingli knabberte vielleicht ein bisschen am herumgereichten Fasnachtschüechli und freute sich vielleicht schon auf den Skandal, mit dem das «Zürcher Wurstessen» die Reformation in der Schweiz endgültig lostreten würde. Das «Wurstessen», den Verstoss gegen das kirchliche Fastengebot, verteidigte Zwingli später mit dem Wort Gottes. Dem Reformator ging es um die Bibel, nicht um das «Nahrungsmittel aus zerkleinertem Fleisch und Gewürzen, das in Därme gefüllt wird» wie der Duden die Wurst erklärt. Seit 1200 Jahren soll das Wort unverändert im Deutschen bestehen. Gegen jeden Sprachwandel steht also dieses phallische Fleischstück in der deutschsprachigen Kulturgeschichte. Dabei ist die Herkunft von Jandls Lieblingswort und Zwinglis Provokationsmittel völlig ungewiss: Vielleicht kommt es von den mittelhochdeutschen Worten für «Gedrehtes», «Gemengsel» oder «wirr». Am Ende ist sie doch mit dem englischen Wort «worst» verwandt. Das verspricht nichts Gutes. Für einmal wollen wir sie beim Wort nehmen und fragen: Was kann Wurst heute noch?
Hiphop und Echtdarm
Antworten auf zeitgenössische Fragen zur Wurst finden wir in einem Keller in Oerlikon. Eine schwere Holztüre zur Seite und eine steile Treppe hinunter, von Weitem hört man schon den Oldschool-Hiphop. Mika Lanz kommt mir entgegen. Nach hinten gegelte Haare, ein Oberlippenbart und Hornbrille. Vielleicht Grafiker oder Architekt, aber so stellt man sich bestimmt keinen Metzger vor. Mika Lanz ist auch keiner. Als er 2011 seinen Job als Kameramann für Filme und Werbung aufgab, um an der ETH Lebensmittelwissenschaft zu studieren, ging er seiner Leidenschaft nach – dem Kochen. Er heuerte beim Quartiermetzger Fulvi im Kreis 4 in Zürich an. Als Lanz mit Ledertäschchen und Hornbrille an der Theke fragte, sagte Fluvi: «Ja eh, komm. Wenn es dich nach dem ersten Tag gruset, dann gehst du halt wieder.» Lanz blieb. Während der ersten Semesterferien half er vier Monate aus und auch später neben Studium zog es ihn immer wieder in die Schöneggstrasse. Dort machte er auch seine ersten Trockenwürste, später konnte er sie über die Zürcher Food-Cooperative «Tor 14» vertreiben. Als er im Lager seine eigenen Würste neben Landjäger legte, hatte er den Geistesblitz: «Stadtjäger». Eine Trockenwurst, die er ausschliesslich aus dem Fleisch von ganzen Bioschweinen aus der Stadt Zürich herstellt. Sie machte ihn berühmt.
Kein typischer Wurster
Die Wände von Lanz' Wursterei sind in beruhigendem Rosa gestrichen, hinter uns steht ein Schweinchen aus Holz. Der Espresso kommt hier aus einer teuren Kolbenmaschine und es sitzt sich gut auf stylisch–dezentem Mobiliar. Unter einem Stapel Papier auf dem Tisch liegen zwei Suhrkamp-Bändchen: Grundlagentexte zur «Tierethik» und «Essen als ob nicht. Gastrosophische Modelle». Mika Lanz ist wohl kein typischer Wurster. Also stellen wir ihm auch nicht die typischen Fragen.
Hat die Vorstellung, dass man ein Tier tötet, um es in seinen eigenen Darm zu pressen nicht etwas Perverses?
Doch. Natürlich ist das krud. Aber auf einer handwerklichen Ebene macht das total Sinn. Wenn du ein Tier tötest, hast du den Darm. Was machst du also damit? Du kannst ihn als natürliche Verpackung verwenden. Komisch ist das nur aus moralischer Sicht. Aber ich finde, da müssen wir unser Verhältnis zum Darm hinterfragen. Bei einem Fleischvogel finden wir das auch nicht schräg.
Aber in Zeiten von Seitan-Plätzchen und Veggie-Nuggets, ist es da noch zeitgemäss zu metzgen?
Wenn du vor zehn Jahren beim Kennenlernen in einer Bar gesagt hättest: Ich mache Würste. Dann wären wohl alle davon gelaufen. Ich merke aber wie das inzwischen im Mikrokosmos Zürich wieder salonfähig geworden ist. Allerdings nur wenn man es so handwerklich macht wie wir. Es ist immer noch sehr unsexy bei einer Grossmetzgerei zu arbeiten. Ich finde das etwas lächerlich.
Wieso?
Wenn man den Fleischkonsum ernsthaft verändern wollen würde, ginge es um Impact. Also darum möglichst viele Leute zu erreichen. Es gibt einfach zu viele Leute, die zu viel Fleisch zu einem zu tiefen Preis essen wollen. Für einen wirklichen Change ist mein Betrieb viel zu klein. Ich habe erlebt wie auf einer Food-Konferenz in Mailand jemand fast vom Podium gebuht wurde, weil sie mit McDonalds zusammenarbeitete. Dabei hat sie die dazu verpflichten können, artgerechtere Eier zu verwenden. Das hat Einfluss auf das Leben von Millionen von Hühnern und nicht bei uns auf fünf Schweine pro Monat. Die Lebensmittelproduktion für so viele Menschen ist einfach nicht so romantisch, wie sich das manche Leute vorstellen.
Grossverteiler verkaufen jetzt die ersten Insektenburger, auch an Retorten-Fleisch wird geforscht. Stirbt das Metzgen nicht sowieso bald aus?
Vielleicht schon. Klar ist es möglich, dass man in fünfzig oder hundert Jahren kein Fleisch von Tieren mehr isst. Als die industrielle Lebensmittelproduktion kam, war es der Wahnsinn, dass man Bouillon-Würfel fertig kaufen konnte. Irgendwann merkte man, dass sie doch nicht ganz das ist, was wir wollten. Was macht man dagegen? Fast die einzige Antwort, die bis jetzt im Alltag Fuss fassen konnte, ist eine komplett rückwärtsgewandte: Retrophilie. Es kann doch nicht sein, dass wir sagen: Wir produzieren wieder wie vor hundert Jahren. Hier fehlt mir die Vision wie unsere Lebensmittelproduktion in zwanzig Jahren aussehen wird.
Was ist denn deine Vision für Lebensmittelproduktion der Zukunft?
Ich habe die Antwort auch nicht, aber ich würde gerne eine Diskussion führen. Vielleicht kämen wir dann zu neuen Ansätzen. Momentan habe ich den Eindruck, dass wir uns im Kreis drehen. Das Einzige, was in letzter Zeit auf den Markt kam und einen Hauch von Zukunft hatte, waren die Insekten-Burger. Ob die jetzt der neue Shit sind – ich weiss nicht.
Warum nicht?
Essen läuft doch über Sinnlichkeit. Maden in einen Burger zu packen und zu sagen, es ist gutes Protein – über einen solchen Vernunftansatz holst du die Leute doch nicht ab. Bei Essen geht es um den Geschmack. Insekten sind eine völlig neue aromatische Welt für uns, das ist doch das Tolle. Aber vielleicht kommt das noch.
Gibt es von dir bald eine Insektenwurst?
Natürlich, warum nicht. Ich fände es auch spannend eine vegane oder Vegi-Wurst zu machen. Bei der Wurst geht es mir ums Format. Und um den Geschmack. Da sehe ich Potenzial in Insekten: Vielleicht auch Würste, die zur Hälfte aus Insekten und Fleisch bestehen, weil es schmeckt.
Bei Zwingli und dem Zürcher Wurstessen 1522 war Fleischessen eine Provokation. Kann es heute noch provozieren?
Heute ist Fleischessen selbstverständlich. Das ist ein Problem und zeigt sich auch in den viel zu tiefen Preisen. Ich fände es schön, wenn Fleisch von einem Grundnahrungsmittel wieder zu einer bewussten Entscheidung wird. Wie eine gute Flasche Wein.
Wie stellst du dir die Wurst der Zukunft vor?
Ich glaube, das Format Wurst ist nicht zu töten. Es wird immer bleiben. Die Wurst der Zukunft sollte auf jeden Fall vielfältiger sein. Wenn ich im Laden zwischen einer veganen, vegetarischen, Insekten- und Fleischwurst auswählen könnte, das fände ich eine tolles Wurstregal.
Die Würste von Mika Lanz können in zahlreichen Zürcher Restaurants und Läden gegessen und gekauft werden. Weitere Informationen auf mikas.ch.