Interview mit Peter Hersche
von Gina Bucher
Wie gingen die Reformatoren mit vermögenden Familien um, die durch Erbe statt harter Arbeit reich wurden?
Zu Zeiten der Reformation waren die ganz Reichen noch eine verschwindend kleine Schicht. Sie bildete sich eigentlich erst im 19. und 20. Jahrhundert durch industrielles Erbe, Handel und Finanzgeschäfte. Viel wichtiger als Geld war Landbesitz und politische Macht. Auch, weil es kaum Investitionsmöglichkeiten für etwaige Gewinne gab. Sowieso war Erbrecht schon damals eine weltliche Angelegenheit. Die Kirche hatte sich da nicht einzumischen. Zumal es katholischen Geistlichen verboten war, Besitz zu vererben. Ihr Besitz fiel nach dem Tod an die Kirche. Protestantische Pfarrer dagegen hatten Familie, sie konnten vererben. Grundsätzlich aber galt Reichtum für einen Christen als problematisch, wie das etwa der Bibelvers «Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt» illustriert.
Inwiefern steuerte die Religion, wohin das Geld floss?
Im Mittelalter konnte man sein Heil auch mit Geld verdienen. Etwa indem Adlige Klöster stifteten, wo Mönche oder Nonnen für sie beteten, später spendeten auch Bürger an soziale Einrichtungen der Kirchen – das war ein Gegengeschäft. Und es gab die berühmt-berüchtigten Ablass-Briefe: Wer eine gewisse Summe bezahlte, bekam einen Ablass zum Nachlass der Sündenstrafen. In der Reformation wurde dies abgeschafft. Luther und Zwingli sagten, sein Heil so zu erlangen sei nicht möglich, es zähle einzig der Glaube und die Gnade Gottes. Obwohl der Ablasshandel später auch im Katholizismus abgeschafft wurde, lebte das Prinzip des Stiftens weiter: Im Barock entstanden wieder neue Klöster, Kirchen und soziale Einrichtungen. Und es floss durch sogenannte Stift- oder Seelenmessen viel Geld in die katholische Kirche: Gegen Bezahlung konnte man eine Messe lesen lassen, damit die Seele schneller aus dem Fegefeuer in den Himmel komme. Im katholischen Europa gab es rund hundert Millionen solcher Stiftsmessen pro Jahr – zu verschiedenen Tarifen von einfachen bis zur sehr feierlichen Messen mit Musik. Das war theologisch für die Reformatoren unmöglich zu vertreten. Entsprechend mussten vermögende Protestanten ihre Gewinne anders investieren – etwa in Manufakturen, in den Handel, in die Kolonien, in die Infrastruktur oder in praktische Bildungseinrichtungen.
Protestanten investierten also in die Wirtschaft, Katholiken in die Kirche?
Vereinfacht gesagt, ja. Diese Entwicklung kann man seit dem 16. Jahrhundert beobachten, besonders in Italien. Über mehrere Generationen vermögend gewordene Katholiken kauften einen Adelstitel und nutzbares Land und unterhielten in der Stadt einen Palazzo. Sie wollten keine gewöhnlichen Bürger mehr sein sondern adlig. Protestanten taten das viel weniger. Dieses Phänomen kann man europaweit beobachten.
Heisst das auch, dass Protestanten und Katholiken ihren Reichtum anders zeigten?
Das deutlichste Gegenbeispiel zur katholischen Ostentation, also das Zeigen von Prunk und Reichtum, ist Holland – in einem gewissen Sinn auch die reformierte Schweiz und England. Im 16. Jahrhundert war Italien noch das reichste Land Europas, danach wurde es von den Holländern überholt. Holländische Häuser in Amsterdam wirken von aussen bescheiden, sind innen aber sehr gut ausgestattet: Sie mussten bequem und praktisch sein, idealerweise mit grossen, hellen Fenstern, einer guten Heizung, einem Brunnen direkt am Haus und schönen Möbeln. Bei italienischen Palästen dagegen war vieles buchstäblich Fassade. Zwar gab es Prunksäle, aber die sonstige Einrichtung war manchmal recht primitiv.
Und wie beeinflussten Glaubensflüchtlinge die Schweizer Wirtschaft?
Viele von ihnen brachten den protestantisch-industriellen Geist in die Schweiz: In Basel und Genf die Hugenotten, in Zürich die italienischen Immigranten wie etwa die Familien Orelli, Muralt, Pestalozzi. So entwickelten sich die Uhrenindustrie in Genf und die Textilindustrie mit zuerst Seide und später Baumwolle in Basel und Zürich.
Das Klischee besagt, dass die reichen Zürcher ihr Geld deutlicher zeigen als etwa der Basler «Daig». Wie ist diese Basler Bescheidenheit historisch zu erklären?
In der frühen Neuzeit bis zur Revolution gibt es wenige Unterschiede zwischen Basel und Zürich. Familien beider Städte sind hauptsächlich im Seidengewerbe tätig und wirtschaftlich sehr aktiv. Diese Strukturen verändern sich erst im 19. Jahrhundert als die Maschinen- und chemische Industrie dazukommen. In der Regel waren die Protestanten die Bannerträger des Liberalismus. Basel aber blieb wie die katholischen Orte politisch konservativ, während Zürich zu einer Hochburg des Liberalismus wurde. Deshalb hat sich das liberale Basel-Land von der Stadt getrennt. Vielleicht hielt man deswegen in Basel an den alten Idealen der Bescheidenheit fest, während die neureichen Zürcher ihren Reichtum mit relativ prunkvollen neobarocken Häusern zeigen wollten. Das kann, muss aber nicht mit der Religion zusammenhängen.
Wenn vermögende Protestanten stärker in die Wirtschaft investierten statt an die Kirche zu spenden, was bedeutete das für die Armen?
Dass Vermögende den Armen spendeten, das bestand in beiden Konfessionen weiter – auch in der reformierten Kirche wurde dies angemahnt. Wobei die Reformierten versuchten, die Armenfürsorge zu zentralisieren und zu verstaatlichen. Das heisst, die Armenfürsorge ging nicht mehr über einzelne Personen, die den Bettlern etwas gaben, sondern das Geld wurde über zentrale kirchliche respektive staatliche Institutionen weiterverteilt.