«Diese Frauen stehen nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in unserer Mitte.»
Gina Bucher im Gespräch mit den beiden Künstlerinnen Brigitte Dätwyler und Lena Maria Thüring über ihr Projekt «Arbeit als Liebe. Liebe als Arbeit», das in Kooperation mit der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration – und fünf ihrer Klientinnen entstanden ist.
Wer steht bei «Arbeit als Liebe. Liebe als Arbeit.» im Mittelpunkt?
Brigitte Dätwyler: Die Protagonistinnen unserer Arbeit sind Frauen mit Migrationshintergrund. Alle Protagonistinnen sind in der Care-Arbeit, also der Betreuungs- und Hausarbeit tätig – sowohl privat, als auch in öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Institutionen.
Zusammen mit diesen Frauen habt ihr in mehreren performativen Workshops eine filmische Arbeit entwickelt – worum ging es euch dabei?
Lena Maria Thüring: Gemeinsam mit den Frauen haben wir in fünf Workshops aus ihrem Lebens- und Arbeitsalltag eine Choreografie entwickelt. Gearbeitet haben wir mit alltäglichen Gesten und Bewegungen, die auf ihren Erzählungen beruhen. Zwei Kameras begleiteten die Workshops, um so Einblick in den Prozess der Entstehung des Videofilms, in die Begegnungen unter den Frauen und in die Biografien der Protagonistinnen zu geben.
Wie habt ihr eure Protagonistinnen gefunden?
T: Wir haben mit der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration zusammengearbeitet, die Frauen mit Migrationshintergrund u.a. in rechtlichen Fragen zu Aufenthaltsbewilligungen, Arbeit, Ehe und Scheidung berät.
D: In den Interviews wurde sichtbar, dass eine Gemeinsamkeit der – doch sehr unterschiedlichen – Frauen die Care-Arbeit ist, die sie leisten. Und dass bei den meisten der Aufenthaltsstatus in der Schweiz zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihren Leben an einen Mann geknüpft war, von dem sie inzwischen getrennt leben oder geschieden worden sind.
Ausgangspunkt für euer Projekt war die Reformation und was sie für die Frauen bedeutete: Wie wurde die Ehe zu Zeiten der Reformation bewertet?
T: Während der Reformation wurde durch neue Heiratsgesetze der Status der Frau in der Ehe verbessert. Gleichzeitig wurden alle Frauen, die nicht unter dem Schutz einer Ehe standen, marginalisiert. Durch das Verbot der Prostitution etwa mussten Freudenhäuser schliessen und durch die Schliessung von Klöstern verloren viele Frauen die Möglichkeit einer Ausbildung. So entstanden neue Abhängigkeiten und neue Ausgrenzungsmechanismen. Besonders deutlich wurde das bei der Hexenverfolgung.
D: Vor 500 Jahren genügte oftmals eine Denunziation, um jemanden vor ein Hexengericht zu stellen. Frauen, die anders waren und fremd wirkten, sei es aufgrund ihrer Herkunft, ihrem Verhalten oder ihrer Einstellung wurden ausgegrenzt und verfolgt. Der Hexerei wurden oft Frauen verdächtigt, die alleinstehend waren und Tätigkeiten nachgingen, die in den Bereich klassischer Frauenberufe gehören: Krankenpflege, Hebammenkunst, Heilungen, aber auch Lebensberatungen.
T: Ein weiterer Ausgangspunkt ist mit den für die Reformation wichtigen Begriffen der Nächstenliebe und Fürsorge verknüpft: Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege wurden seit der frühen Neuzeit und vor allem im Laufe der Industrialisierung den Frauen zugewiesen.
Arbeit, die nach wie vor schlecht bezahlt ist.
D: Nach wie vor wird Haus- und Familienarbeit, heute sprechen viele von Care-Arbeit, mehrheitlich nicht entlohnt und basiert immer noch auf einer geschlechtshierarchischen und rollenstereotypen Arbeitsteilung. Oft funktioniert sie im Rückgriff auf biologistische Erklärungsversuche, die den Frauen eine soziale Veranlagung zuschreibt, weshalb diese Aufgaben aus Liebe erledigt würden.
T: Wenn sie als Arbeit angesehen werden, ist diese schlecht entlohnt und wird oft ausgelagert – etwa an Migrantinnen, die sie unter prekären Umständen leisten.
Wie gehen die Frauen mit ihren teilweise prekären Lebenssituationen um?
D: Das sind sehr stolze, unglaublich starke Frauen. Sie haben viel gekämpft und ziehen daraus auch ihr Selbstverständnis. Wenn sie merken, dass sie ausgenutzt werden, wehren sie sich. Sie sind sich diesbezüglich ihrer Situationen sehr bewusst. Was mich besonders beeindruckte: wie eine Frau erzählte, dass sie das Wort «Opferrolle» erst hier auf Deutsch gelernt habe und sie diesen Begriff ablehne. Sie erklärte uns: «Schau, ich kann dir alles Schlechte, was mir in meinem Leben widerfahren ist, erzählen, aber ich möchte nicht, dass ihr mich nur so in Erinnerung behaltet. Denn das ist nicht alles, was mich ausmacht. Ich bin heute sehr glücklich.»
T: Wir wollen diese Frauen keineswegs als Opfer thematisieren! Vielmehr haben wir uns gefragt, was passieren würde, wenn die beteiligten Frauen – stellvertretend für die vielen anderen – ihre Arbeit niederlegen würden? Kaum ein Spital, keine Krippe, kein Altersheim würde dann noch funktionieren. Diese Frauen sind überall. Wir wollen auf ihren Beitrag hinweisen, darauf, was sie in unserer Gesellschaft alles leisten. Diese Frauen stehen nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in unserer Mitte.
Was haben die Geschichten mit euch selbst gemacht?
T: Bereits in einer früheren Arbeit beschäftigte ich mich damit, wie wir durch eigene biografische Erfahrungen geprägt sind: Wie verhandelt man Familie und wie positioniert man sich als Frau? Als ich selbst Mutter wurde, stellte sich die Frage, was es bedeutet, Frau zu sein, nochmals ganz anders. Mit Kind muss man plötzlich jeden Freiraum mit seinem Gegenüber absprechen. Im Gegensatz zu anderen Ländern mit echten staatlichen Lösungen für gerechte Familienpolitik ist man hier der Meinung, Familie sei Privatsache und jeder soll selber herausfinden, wie er oder sie das dealt.
D: Durch die Interviews ist mir klar geworden, dass ich Rollenverständnisse mit meinem Partner verhandeln kann. Es ist für ihn und mich ein Thema, das immer wieder einen bewussten Umgang fordert, was durch unterschiedliche kulturelle Prägungen nicht selbstverständlich ist. Manchmal ist er nicht zufrieden, manchmal bin ich nicht zufrieden, aber grundsätzlich ist auf beiden Seiten Dialogbereitschaft vorhanden. Dafür bin ich dankbar.
Wie gross ist das feministische Bewusstsein bei euren Protagonistinnen?
T: Die Frauen sind alle starke und eigenständige Frauen, die sich selber und teilweise ihre Kinder durchs Leben bringen müssen. Die feministische Frage stellt sich nicht in der Theorie, sondern wird meiner Meinung nach aktiv gelebt.
D: Alle Frauen sind der Meinung, dass es gut möglich ist, als Frau alleine in der Schweiz zu leben. Die Frauen haben ein starkes Selbstverständnis und sorgen dafür, dass ihre Grenzen nicht überschritten werden.
Schon im Titel bezieht ihr euch auf die feministische Soziologin Barbara Duden, die in einem Essay in den 70er Jahren Hausarbeit als «Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit» analysierte.
D: Für meine Arbeit als Künstlerin ist die Motivation elementar – es ist wichtig, dass ich mit einer gewissen Hingabe an ein Projekt herangehe. Gleichzeitig ist das oft ein Argument, warum Kunst – genauso wie Arbeit im Fürsorgebereich – nicht oder gering bezahlt wird: Weil mit Leidenschaft schlechte Honorare legitimiert werden.
T: Dieser Titel aus den 70er Jahren passt leider heute noch genauso: Auch wenn wir unsere Arbeit gerne tun, wollen wir dafür bezahlt werden. So wie auch die Arbeit, die in der Familie stattfindet wertgeschätzt werden sollte.
Film-Screenings der entstandenen Videoarbeit mit anschliessenden Gesprächsrunden
31. Oktober 2018, 18.00 Uhr
Gespräch zu aktuellen und historischen Mechanismen der Ausgrenzung von Frauen
Gäste: Damian Christinger, freier Kurator
Katharina Brandl, Kunsthistorikerin Universität Basel und freie Kuratorin
Esther Straub, Kantonsrätin und Pfarrerin
Brigitte Dätwyler und Lena Maria Thüring, Künstlerinnen
Moderation: Anna Francke, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin
14. November 2018, 18.00 Uhr
Gespräch zu den Bedingungen und Zusammenhängen von Care-Arbeit und Migration
Gäste: Damian Christinger, freier Kurator
Anke Hoffmann, Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Kulturvermittlerin
Chantal Riedo, Leiterin Beratungsstelle für Migrantinnen, FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration
Sarah Schilliger, Soziologin
Brigitte Dätwyler und Lena Maria Thüring, Künstlerinnen
Moderation: Anna Francke, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin
Museum Haus Konstruktiv
Selnaustrasse 25
8001 Zürich
Einlass ab 17:45 Uhr
Eintritt frei
Herzlicher Dank an die Protagonistinnen, das Museum Haus Konstruktiv sowie Sabine Schaschl und Martin Heller.
Mit weiterer Unterstützung von: Philaneo, Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung, Stiftung Erna und Curt Burgauer, Ernst Göhner Stiftung
In Kooperation mit: FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration