Rede von Regierungsrätin Jacqueline Fehr, anlässlich der Medienkonferenz vom 11. Mai 2017.
Sehr gern wende ich mich an Sie als Vertreterin des Kantons Zürich
Endlich, so meine Empfindung, endlich wird das Zürcher Reformationsjubiläum konkret.
Verstehen Sie mich nicht falsch! Meine Ungeduld hat nichts mit Schlendrian in der Vorbereitung zu tun. Im Gegenteil, die Zeit war knapp und das Kuratoren-Duo Barbara Weber und Martin Heller hat ein tolles und motivierendes Tempo vorgelegt.
Wenn ich das Wort «endlich» betone, so darum, weil ich finde, es ist höchste Zeit, dass wir diesen für manche wohl verstaubt wirkenden Begriff «Reformation» mit Leben füllen.
Denn ich kann Ihnen sagen: Je länger wir uns mit der Reformation, ihren Akteuren und ihrer Wirkung beschäftigt haben, desto grösser wurden unser Staunen und unsere Anerkennung. Was für ein Epochenwechsel! Gewachsen ist dabei auch mein Stolz. Stolz darüber, dass Zürich vor 500 Jahren an der Spitze einer Entwicklung stand, welche die Welt verändern sollte.
Seit Dezember 2015 sind Sie, Martin Heller und Barbara Weber an der Arbeit, wobei Sie genau genommen erst vor einem halben Jahr wirklich loslegen konnten. Erst seit November 2016 ist die Finanzierung gesichert.
Im Juni 2016 stellte sich die Regierung hinter einen Beitrag von 8 Millionen Franken zugunsten der gesellschaftlich-kulturellen Feiern. Im November 2016 hiess der Kantonsrat diesen Antrag mit sehr grossem Mehr gut.
Heute präsentieren uns Martin Heller und Barbara Weber die Resultate ihrer Arbeit. Ich freue mich und bin gespannt. Ich bin sicher, dass ich mit meiner nicht kleinen Erwartungshaltung nicht allein bin.
Ich will vor Ihnen hier kurz begründen, warum ich persönlich die Reformation für eine überaus bedeutende Entwicklung halte.
Die wahre Bedeutung der Reformation liegt in meinen Augen darin, dass vor 500 Jahren erstmals alle Mitglieder einer Gesellschaft eingeladen waren, über das Gegebene nachzudenken – und zwar unabhängig von Rang und Namen.
Die von der Reformation ergriffene Gesellschaft verstand sich erstmals als «lernende Organisation». Die Reformation war die Geburtsstunde des kritischen Denkens, des Widerspruchs, des Veränderungswillens, der Neugierde, der Suche nach Erklärungen.
Es ist deshalb bestimmt kein Zufall, dass hier in Zürich heute eine weltweit renommierte technisch-naturwissenschaftliche Hochschule steht.
Man kann den weltanschaulichen Wandel, den die Reformation ausgelöst hat, bildlich so zusammenfassen: Das dogmatisch, mahnende Ausrufezeichen wurde durch das reflektierende, neugierige Fragezeichen ersetzt.
Damit wurde die Reformation zu einer immensen zivilisatorischen Lerngeschichte.
Das vorläufige Resultat dieser Lerngeschichte?
Heute haben wir eine säkulare Verfassung mit umfassenden, verbrieften Grundrechten, darunter die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Und wir haben die demokratisch verfasste Rechtsordnung als unsere Leitkultur.
Die Reformation war eine der markantesten Weggabelungen auf dem Weg zur Moderne. Mit ihrem Anspruch der Teilhabe und den ersten Entwürfen einer Gesellschaftsordnung, die auf der Gleichheit der Menschen baut, hat sie die Grundlage zur Aufklärung gelegt. Sie war damit auch Wegbereiterin der Revolutionen des 19. Jahrhunderts und der darauffolgenden ersten demokratischen Verfassungen.
Was mit der Übersetzung der Bibel begann, setzte sich Jahrhunderte später im demokratischen Kampf für die Werte der Aufklärung nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität sowie der universellen Gültigkeit der Menschenrechte fort.
Die Reformation hat den Weg geebnet für den Übergang von der feudalen zur demokratischen Staatsordnung. Als Sozialdemokratin bin ich Zwingli und den Reformatoren dankbar für ihre Gedanken und Ideen, mit denen sie unsere Gesellschaft gerechter, sozialer und demokratischer gemacht haben.
Die Übersetzung der Bibel in die Volkssprache verlieh nicht nur der Bildung einen enormen Schub, sondern legte auch die Basis für eine Ordnung der begrenzten Macht. Die Menschen konnten sich selber ein Bild davon machen, was in der Bibel stand. Die Obrigkeit wurde von ihrer uneingeschränkten Macht entzaubert und musste sich Rolle und Funktion vermehrt im demokratischen Diskurs verdienen. Im Gegenzug machte sich die Haltung breit, dass jeder Mensch das Recht habe, frei, sicher und in Würde zu leben.
Die Reformation hat die Gesellschaft insgesamt verändert und Zürich, die Schweiz, ja die gesamte moderne Welt geprägt. Was einst die Kirche stärken sollte, stärkt heute ebenso unseren säkularen Rechtsstaat. Die überragende Bedeutung der Reformation für den ganzen Kanton Zürich ist auch der Grund, warum Regierungsrat und Kantonsrat entschieden haben, dass das Reformations-Jubiläum nicht nur kirchlich, sondern auch von staatlicher Seite her zu würdigen. Denn in Zeiten, in denen Kreationisten in modernen Staaten zurück an die Macht drängen, ist es für soziale und freiheitlich verfasste Staaten von grösster Bedeutung, dass wir unser Geschichtsbewusstsein schärfen.
Und dazu bietet das Reformationsjubiläum eine Plattform. Wie genau diese historischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen der nächsten Monate aussehen werden, das erfahren wir gleich.
Geschätzte Medienschaffende: Wenn Sie die Zeit finden, lassen auch Sie persönlich sich etwas eingehender auf das Phänomen Reformation ein. Ich bin überzeugt, dass auch Sie fasziniert sein werden und das Wissen Ihre Arbeit inspirieren wird.