Die Neuerungen in Kirche und Gesellschaft als Folge der Reformation sind zahlreich.
Was also feiern? An was erinnern?
Von Corine Mauch, Stadtpräsidentin
Was macht das Reformationsjubiläum einzigartig? Ich könnte es mir einfach machen und auf das Programm verweisen, das Ihnen Martin Heller und Barbara Weber präsentieren werden. Die Frage lässt sich aber auch mit einem Verweis auf die Reformation selbst beantworten. Diese stellt einen ausgesprochen vielschichtigen Prozess dar, mit einer Vorgeschichte – ich denke etwa an Jan Hus – und einer langen Wirkungsgeschichte, mit verschiedenen Schauplätzen und einer Vielzahl von Akteuren. Akteurinnen gab es rollen- und zeitbedingt wenige. Ausser über Katharina von Zimmern wissen wir sehr wenig über diese Frauen.
Die Reformation begann als kirchliche Erneuerungsbewegung und Huldrych Zwingli hat sich immer als Mann des Evangeliums gesehen. Bei der Ernennung Zwinglis zum Leutpriester am Grossmünster durch den Rat der Stadt Zürich, wie sich die Stadtregierung damals nannte, war aber seine dezidierte Haltung gegen die «Reisläuferei», den Solddienst von Schweizern in fremden Armeen, entscheidend.
Der Wandel der Kirche führte zur Aufhebung der Klöster in Zürich und in der Folge zu einer Neuorganisation des Armenwesens, für das bis anhin die Kirche die Verantwortung getragen hatte. Mit der Übersetzung der Bibel in die Volkssprache erfuhren der Buchdruck und die allgemeine Bildung einen enormen Aufschwung, Lesen und Schreiben wurden rasch populär. Die Zahl der Beispiele von tiefgreifenden Neuerungen als Folge der Reformation ist gross. Was also feiern? An was erinnern? Die gesellschaftliche Erneuerung von damals? Deren Wirkungsgeschichte bis heute? Oder gar Zwingli selbst ins Zentrum stellen, der die treibende und prägende Kraft war? Oder Bürgermeister Diethelm Roist, der die Reformation politisch orchestrierte? Oder die erwähnte letzte Äbtissin am Fraumünster, Katharina von Zimmern, deren kluger Entscheid, die weltliche Macht abzugeben, entscheidend war für den friedlichen Verlauf der Reformation in Zürich?
Das Zürcher Bild der Reformation ist mit Huldrych Zwingli eng verbunden. Noch immer populär ist das Cliché des «zwinglianischen Zürich». Im Zürcher Alltag und erst recht im Zürcher Nachtleben findet sich zwar fast gar nichts mehr, was dieses Zerrbild bestätigen würde. Trotzdem hält es sich so unerbittlich wie der strenge Zwingli vor der Wasserkirche. Ein Kämpfer mit Schwert, dem nachträglich noch eine Bibel in die Hand gedrückt werden musste, um den martialischen Eindruck etwas abzumildern.
Sie kennen vielleicht das bekannte Portrait von Hans Asper. Zwingli im Profil, vor einem grell gelben Hintergrund und ohne Tiefenschärfe, gemahnt das Bild mehr an eine mittelalterliche Ikonenmalerei als an ein Portrait aus der Renaissance-Zeit. Ich will diesem Bild das eines wachen jungen Mannes von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1516 gegenüberstellen, das mutmasslich den jungen Zwingli darstellt, der sich damals zeitgleich mit Dürer in Basel aufhielt. Dürers «Zwingli» ist ein fein gezeichneter junger Mann, in dessen Blick schon zu lesen ist, was Zwingli Jahre später als Zwingli-Devise bezeichnet hat: «Prüfet alles und behaltet das Gute.»
So wie die Reformation vielgestaltige Folgen hatte, so unterschiedlich ist unsere Wahrnehmung davon. Ich freue mich auf eine vielgestaltige, künstlerisch breite und in der Form innovative Auseinan-dersetzung mit der wohl wichtigsten Phase in der Zürcher Geschichte und mit einer ihrer wichtigsten Figuren.