Ein Gesamtkunstwerk will Theatermacher Volker Hesse mit dem Mysterienspiel «Akte Zwingli» einrichten. Neben dem Zürcher Reformator sind dessen Ehefrau Anna und vor allem der Kirchenraum des Grossmünster die Hauptdarsteller des Stücks, in dem Chöre und Instrumentalisten, Tänzer und Schauspieler mitwirken.
Volker Hesse inszeniert Zwingli. Der karge und nüchterne Reformator wird ausgerechnet von dem Regisseur auf die Bühne gebracht, der vom Welttheater im katholischen Einsiedeln bis hin zum letztjährigen Gotthard-Eröffnungsspektakel für das Burleske und Barocke steht.
Gerade mit diesem Gemeinplatz, der sich gerne mit dem Namen Zwingli verbindet - also das Schmallippige, das Lustfeindliche, das Arbeitsame, das Strenge – will das Stück aufräumen. Die Inszenierung wird bestimmt nicht karg. Ich hoffe, dass wir ein schauspielerisch-musikalisches Gesamtkunstwerk erschaffen können.
Wie sehen Sie denn Zwingli, nachdem Sie sich in seine Schriften und Biographie vertieft haben?
Der Bauernsohn Zwingli war extrem begabt und vernetzte sich mit der humanistischen Elite Europas, beispielsweise mit Erasmus von Rotterdam. Seine überragende intellektuelle Energie ist faszinierend. Und er war musikalisch sehr begabt – er spielte zwölf Instrumente und hat eindrückliche Kompositionen geschaffen.
Deshalb spielt auch beim Mysterienspiel die Musik eine so bedeutsame Rolle?
Mehrere musikalische Werke von Zwingli sind in die Konzeption von Hans-Jürgen Hufeisen integriert.
Aber derselbe Zwingli hat die Orgel aus den Kirchen verbannt. Kam da die intellektuelle Religion dem musischen Reformator in die Quere?
Das gehört zu den Paradoxien, die man an einem solchen Theaterabend vorführen kann. Einerseits war er ein vollblütiger, sinnlich-kreativer Mensch. Dann aber wollte er den Gottesdienst ganz auf das Wort, auf die Schrift konzentrieren.
Am Anfang des Stücks ist Zwingli tot. Wie kommt er dann ins Spiel?
Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist lässt die Welt Zwinglis aus der Perspektive seiner Frau Anna entstehen. Ihre traumatischen Erfahrungen, ihre Glücks- und Schmerzerlebnisse bilden den Traumstrom des Abends.
Sie hat also auch den ersten Auftritt?
Der Abend beginnt mit ihr. Zuerst sind die 400 Menschen in der Kirche einer grossen Stille ausgesetzt. Dann wird die Nervosität der Anna spürbar, die in der Kirche auf- und abgeht. Ihr Trittschall erfüllt den Raum. Man spürt: Diese Frau scheint mit Bangigkeit eine Nachricht zu erwarten.
Sie haben schon vor den Proben ganz konkrete Bilder im Kopf.
Ja, das habe ich. Und gerade das Grossmünster zu bespielen, ist ein Aspekt, der mich als Gestalter besonders reizt. Wie geht man mit einer Kirche um, mit einem Raum, der so viel Geschichte hat und förmlich nach Reformation riecht?
Der Raum ist also ein ganz wichtiges Element in Ihrer Inszenierung?
Die Kirche ist das wichtigste Instrument des Abends. Dort lassen sich ganz andere magische Lichtwirkungen, Klänge und Spannungen herstellen als in einem Guckkasten.
Die raumausgreifende Dimension zu gestalten, war Christoph Sigrist nicht gegeben, auch wenn er dort oft auf der Kanzel steht?
Pfarrer Sigrist hat bisher keine Theaterstücke geschrieben. In langen Gesprächen haben wir Phantasien entwickelt, wie die Traumbilder der Anna sinnlich präsent werden können.
Also durchaus eine Kooperation, bei der einige Reibungsenergie entstanden ist?
Das ist auch gut so. Da kamen Menschen mit ganz unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen zusammen und haben miteinander gerungen. Es gab Phasen, wo Hans-Jürgen Hufeisen, Christoph Sigrist und ich so etwas wie eine schöpferische Erfindungsgemeinschaft bildeten.
Sie haben schon eingangs von einem Gesamtkunstwerk gesprochen. Wo fliesst das alles zusammen?
Ein Beispiel: 1519 wurde Zürich von der Pest heimgesucht. In unserem Spiel pflegt Anna den todkranken Zwingli. Um sie herum entstehen Bilder der Seuche, des Massensterbens. Die Klänge der Instrumentalisten, der Chöre, die Körpersprache der Artisten aus der Dimitri-Tradition sollen sich zu einer dunklen magischen Vision zusammenfinden.
Die der Pest ausgesetzten Menschen wussten noch nichts von Viren und Bakterien. Ihre einzige Rückversicherung war das Gebet. Wollen sie dem auch Ausdruck verleihen?
Unbedingt, auch wenn das ein schwieriges Unterfangen ist. Ich möchte diese tiefe Gläubigkeit, die aus Not und grosser Orientierungslosigkeit entstanden ist, erfahrbar machen. Ich träume davon, dass die 400 Zuschauer, die im Grossmünster sitzen werden, etwas von der Macht des Gebets und den religiösen Auseinandersetzungen zur Zeit der Reformation spüren.
Aber Sie wollen wahrscheinlich mehr, als dem Publikum nur Fremderfahrungen von einer Welt vor 500 Jahren vermitteln?
Man kann als zeitgenössischer Theatermacher nicht aus seinen Fragestellungen heraus. Der Umgang mit den Täufern erinnert zum Beispiel daran: Die Revolution frisst ihre Kinder. Zwingli hatte den Zauber des Beginns auf seiner Seite. Es ist eine erstaunliche Leistung, wie ein Einzelner in einer Stadt so viel zu bewirken vermochte. Er schaffte das Pensionen- und Söldnerwesen ab, löste die Klöster auf und richtete eine Armenfürsorge ein. Aber in den letzten Jahren seines Wirkens begann er sich in verschiedene Widersprüche zu verstricken. Er hat die Entscheidung für die Gewalt und die Auseinandersetzung mit den Katholiken in Kappel befürwortet und den Krieg mit angestrebt. Das wüste, blutige Rad der Geschichte dreht sich wieder – ziellos, sinnlos.
#AkteZwingli Uraufführung 16. Juni 2017, Grossmünster Zürich.