Die Reformation hat den religiösen Glauben in besonderer Weise mit dem Wort in Verbindung gesetzt. Denken wir an die zentrale Stellung der Bibel – also das gedruckte Wort Gottes – und an die Bedeutung der Predigt; des gesprochenen Wortes.
Im Gegensatz dazu haben sich die Reformatoren gegen die grosse Bedeutung der Bilder gewandt. Heute sind die Bilder wieder zurück und das Wort gerät oft in die Defensive. Doch das wäre ein anderes Thema ...
Mit dem Wort wurde der religiöse Glaube diskutierbar. Und damit auch fassbar, verhandelbar, ja angreifbar. Das Gegenüber anzuhalten, seine Gedanken in Worte zu fassen, war eine Aufforderung zur Transparenz, ein erster Schritt zu Rechenschaftspflichtigkeit. Der Glaube war damit nicht mehr im Bereich des Magischen, Irrationalen angesiedelt, sondern hatte sich vor der Vernunft zu bewähren.
Zum Beispiel in den grossen Disputationen während der Reformationszeit, wo lange und intensiv über Glaubensfragen gesprochen und gestritten wurde. Wo durch den Austausch mit Wissen das Denken geschärft wurde, wo Empfindungen an Klarheit gewannen und wo Interpretationen überprüfbar wurden. Diese Reibung der Religion an der Vernunft hat unsere Kultur tief geprägt. Die positive Rolle des Wortes, der Rede und des Diskurses ist weit über den religiösen Bereich hinaus wirksam geworden.
Letztlich liegen hier auch Fundamente der Demokratie. Denn auch in der Demokratie geht es darum, dass wir miteinander ins Gespräch kommen und dass Positionen und Haltungen verhandelbar sind. Die Reformation vor rund 500 Jahren hat die damalige Kirchenmacht herausgefordert.
Die Reformation versuchte quasi das dogmatische Ausrufezeichen durch das emanzipierende Fragezeichen zu ersetzen.
Die zentrale Botschaft war eine Einladung zum eigenen Denken. Alle sind aufgefordert, sich selber über Glaubensfragen Gedanken zu machen und sich dazu auszutauschen. Alle sollen das Wort Gottes in der Bibel lesen können und nicht mehr nur der Verkündigung in einer unbekannten Sprache lauschen müssen.
Es waren erste und sicherlich erst zaghafte Ideen zu einer offenen und gleichberechtigten Gesellschaft. Sie legten aber den Grund-stein für eine eigenständige Wissenschaft und letzlich eben auch für unsere Demokratie. Wegen dieser umfassenden Bedeutung der Reformation wird das Reformationsjubiläum in Zürich nicht nur kirchlich gefeiert, sondern ist mit der Unterstützung vom Kanton und der Stadt Zürich auch ein säkulares Jubiläum.
Die Reformation hat uns eine Kultur des Wortes geschenkt. Eine Kultur, in der man diskutiert und reflektiert. Das Bestehende in Frage stellt und Macht nicht einfach so hinnimmt. Eine Kultur, die zum Denken einlädt – die aber auch zum Denken verpflichtet. Dieser Kultur haben wir unsere wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte zu verdanken. Und dieser Kultur sollten wir Sorge tragen, wenn wir auch in Zukunft die Lawinen von Fake News und Verschwörungstheorien unbeschadet überstehen wollen.
Auszug aus dem Referat von Regierungsrätin Jacqueline Fehr anlässlich der Eröffnung der Ausstellung «Das Wort» im Museum Strauhof.