Die Frau als Ehefrau
Die Möglichkeiten weiblicher Selbstdefinition verändern sich im beginnenden 16.Jh. grundlegend. Mit der Abschaffung der Verehrung weiblicher Heiliger und des Marienkultes verschwinden zu Gunsten eines explizit männlichen Gottes sämtliche weiblichen Identifikationsfiguren aus der religiösen Sphäre. Das Vakuum, das dabei entsteht, wird nicht zuletzt durch die Ehefrau als neues Rollenmuster gefüllt. Idealtypisch vertreten wird sie durch die Pfarrersfrau, die, noch vor kurzem als «Priesterhure» beschimpft, nun als perfekte Hausfrau und fürsorgliche «Kirchenmutter» eine Vorbildfunktion erfüllt.
Trotz des Verlustes ihres Sakramentcharakters wird die Ehe im reformatorischen Diskurs zur «ersten Ordnung Gottes» aufgewertet. Damit verliert der zölibatäre Klerus, aber auch die Enthaltsamkeit oder Jungfräulichkeit von Laien ihre Vorrangstellung gegenüber der breiten Masse. Die «Verweltlichung» der Ehe bedeutet in erster Linie eine Institutionalisierung unter Beteiligung geistlicher und weltlicher Instanzen. Zu den zwingenden Bedingungen einer gültigen Ehe gehören nun die elterliche Einwilligung, eine öffentliche Zeremonie vor Zeugen und die Segnung des Paares durch einen Priester. Private Eheversprechen im engsten, nicht unbedingt familiären Kreis, wie sie in der spätmittelalterlichen Praxis nicht unüblich waren, verlieren ihre Gültigkeit.
Die Ehe ist nunmehr zur Berufung geworden, zum von Gott vorgesehenen Platz in der Welt. Die Bewertung dieses Schrittes wird nicht zuletzt anlässlich des Reformationsjubiläums heiss diskutiert: Während einige die Aufwertung der Frau als geistige Freundin des Mannes betonen, weisen andere auf das Verschwinden jeder Möglichkeit zur gesellschaftlichen Partizipation ausserhalb der Ehe hin. Tatsache ist jedenfalls, dass die primäre Bestimmung der Frau im reformatorischen Diskurs die der Ehefrau und Mutter ist und eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Mann beinhaltet. Gleichzeitig zeichnet sich eine später für das 19. Jh. zentrale Verknüpfung von Ehe, Liebe und Sexualität ab, die die Stabilität der Institution Familie erhöhen sollte. Die Eheleute sind zum Geschlechtsverkehr verpflichtet, eine Weigerung, diese Pflicht zu erfüllen, stellt einen Scheidungsgrund dar. Wenn die Frau sich verweigert, steht es dem Mann frei, sie zu vergewaltigen oder eine «Freiwilligkeit» zu schaffen. In der weit verbreiteten Ratgeberliteratur für Ehemänner wird immerhin zu letzterem geraten. Die strikte Beschränkung der Sexualität auf die Ehe bringt eine Diskriminierung jeglicher nichtehelichen sexuellen Aktivität mit sich. Vorehelicher Geschlechtsverkehr, Konkubinat, Prostitution, Sodomie aber auch das Zölibat werden als potentiell gesellschaftszersetzende Handlungen streng geahndet.
Die Durchsetzung der Ehefrau als verpflichtendes Rollenbild führt zum Verschwinden von Handlungsräumen: In spätmittelelterlichen Stadtgesellschaften gab es durchaus Alternativen zum Eheleben: Witwen führten erfolgreich die Geschäfte ihrer verstorbenen Männer weiter, Prostituierte hatten einen festen Platz im sozialen Gefüge, genossen oft Bürgerrechte oder konnten sich gar in Zünften organisieren, und das Klosterleben ermöglichte einerseits die weitreichende Autonomie von Frauen, andererseits soziale Aufstiegschancen. Eine der zentralen Bestrebungen der reformatorischen Stadtpolitik ist nun die möglichst rasche Verheiratung (oder Wiederverheiratung) dieser Frauen. Wer aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen nicht heiratsfähig ist, gerät schnell an den Rand der Gesellschaft und unter die permanente Beobachtung durch die Obrigkeit.
Frauen als Subjekte des Gesetzes
Die Einhaltung von Moral und «Zucht» steht nun unter staatlicher Aufsicht. Damit verbunden weitet sich die Rechtsprechung auf alle Stände aus. Frauen treten erstmals selbständig als Klägerinnen auf und werden, indem sie die neuen Sittlichkeitsvorstellungen stützen, zu einem aktiven Teil der Denunziationskultur. Hebammen beispielsweise sind durch spezielle Verordnungen dazu verpflichtet, die Ehelichkeit des Kindes zu bescheinigen und sich an Untersuchungen zu Kindsmisshandlungen und Sittlichkeitsdelikten wie vorgetäuschte Schwangerschaften zu beteiligen. Frauen ist es nun möglich bei sogenannten «Ehegerichten», gegen gewalttätige oder vertragsbrüchige Ehemänner vorzugehen und eine Scheidung zu beantragen. Doch wenn man sich die Praxis dieser Gerichte genauer anschaut, wird die Euphorie gedämpft: Eine Scheidung von gewalttätigen Männern ist zwar prinzipiell denkbar, wird aber so lange wie möglich verhindert. Solange die öffentliche Ordnung gewahrt bleibt, schreiten die Ehegerichte nicht ein. Denn grundsätzlich ist es einem Mann erlaubt, seine Frau zu schlagen, solange kein Blut fliesst und der Stock, mit dem er sie schlägt, nicht dicker als sein Daumen ist. Entschliesst sich die Frau einen Prozess wegen häuslicher Gewalt anzustreben, endet dieser meistens ziemlich ernüchternd. Der angeklagte Ehemann wird in der Regel schlicht dazu ermahnt, seine Frau, die zu ihm zurückkehren muss, nicht mehr zu misshandeln. Erst ab dem dritten oder vierten Prozess besteht eine reelle Chance auf Scheidung oder Bestrafung.
Auch Zwingli etabliert 1525 ein Ehegericht in Zürich, bestehend aus weltlichen und geistlichen Räten. Professionelle Juristen gehören nicht dazu. Wird von privaten KlägerInnen ein Prozess angestrebt, sammelt das Gericht Beweise, führt Zeugenbefragungen durch und entscheidet den Fall schliesslich nach Mehrheitsbeschluss. In den ersten Jahren beschäftigt sich das Komitee hauptsächlich mit Fällen, in denen eine unverheiratete Frau auf die Einlösung eines Eheversprechens pocht oder die Gültigkeit einer Ehe infrage gestellt wird. Doch allmählich weitet das Gericht seine Kompetenzen aus und beschäftigt sich mit Glücksspiel, unerlaubtem Fehlen in der Kirche, Blasphemie und sexuellen Handlungen ausserhalb der Ehe.
Ein zweiter wichtiger Berührungspunkt von Frauen und Gesetz sind die Prozesse gegen Prostituierte. Während es Prostituierten im Mittelalter durchaus möglich war, als Bürgerinnen am sozialen Leben teilzunehmen, werden sie nun als akute Gefährdung der rein ehelichen Sexualität und als Verführerinnen von Bürgern zur Abkehr von der Moral verfolgt und schwer bestraft. Gleich zu Beginn der Reformation werden sämtliche städtische Bordelle geschlossen. Da öffentliche Prostitution nicht mehr möglich ist, geschieht sie heimlich, was dazu führt, dass unverheiratete Frauen zunehmend unter Generalverdacht stehen. Überführte Prostituierte sind oft zu arm, die ausgesetzte Strafe zu bezahlen und werden deshalb inhaftiert, körperlich bestraft und dann aus der Stadt verbannt. Wiederholungstäterinnen, die den Bann nicht einhalten oder in andere Verbrechen verwickelte Frauen werden nicht selten hingerichtet.
Öffentliche Teilhabe von Frauen
In den ersten Jahren der Reformation kämpfen Frauen an vorderster Front für die Reformation, sie beziehen öffentlich Stellung, beteiligen sich an Aufständen, führen intellektuelle Auseinandersetzungen mit geistlichen und weltlichen Autoritäten oder sind publizistisch tätig. Argula von Grumbach (Bayern), Katharina Zell (Strassburg), Ursula Weyda (Thüringen) und Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (Niedersachsen) sind die bekanntesten und bestbezeugten Vertreterinnen öffentlich engagierter Frauen. Sie stammten allesamt aus sozialen Oberschichten, hatten Zugang zu Bildung und materiellen Ressourcen und konnten so am aktuellen Geschehen teilhaben.
Tatsächlich eröffnet die Lehre von der prinzipiellen Gleichwertigkeit von Mann und Frau als Geschöpfe Gottes und dem allgemeinen Priestertum auf den ersten Blick einigen Handlungsspielraum. Da nun auch Laien nur durch Glaube und ohne Vermittlung eines Priesters Zugang zum göttlichen Heil erlangen konnten, liegt es nahe, dass Frauen sich genauso wie Männer in kirchlichen Positionen etablieren können. Doch im Zuge der Institutionalisierung reformierter Bewegungen werden sie mit Verweis auf das neutestamentliche Schweigegebot und das Lehrverbot in den Hintergrund gedrängt. Erst im 19. Jh. wird es Frauen möglich, sich in der Diakonie zu betätigen und die Einführung des Frauenpfarramts in den evangelisch-reformierten Kanonalkirchen findet zwischen 1956 und 1969 statt.
Eine erwünschte Rolle in der Verbreitung reformierten Gedankenguts spielt die Frau als Mutter und Erzieherin. Ob darin aber wirklich so viel Subversionspotential liegt, wie bisweilen angenommen, ist angesichts der ständigen Überwachung durch den Hausvater auf jeden Fall kritisch zu hinterfragen. Zusammenfassend lässt sich jedenfalls sagen, dass die Rückführung der Emanzipation von Frauen auf die Reformation mit Vorsicht zu geniessen ist. Denn nach heutigen Gesichtspunkten brachten die sich verändernden Sozialordnungen mindestens genauso viele Nach- wie Vorteile mit sich.